Die Schwangerschaft und Geburt stellen eine enorme Belastung für den weiblichen Körper dar, insbesondere für den Beckenboden nach Geburt. Diese oft unterschätzte Muskelgruppe spielt eine zentrale Rolle in der Unterstützung der Beckenorgane und der Kontrolle über Blase und Darm. Nach der Geburt ist es essenziell, die Gesundheit und Stärke des Beckenbodens wiederherzustellen, um langfristige Probleme wie Inkontinenz und Prolaps zu vermeiden.
Inhaltsverzeichnis
- Aufbau des Beckenbodens
- Die Bedeutung des Beckenbodens und seine Aufgaben
- Auswirkungen der Schwangerschaft und Geburt
- Anzeichen eines schwachen Beckenbodens
- Beckenbodenübungen
Das Wichtigste in Kürze:
- Der Beckenboden braucht direkt nach Geburt sehr viel Ruhe. Insbesondere in den ersten zwei Wochen nach Geburt solltest Du viel Liegen und noch nicht (viel) spazieren gehen.
- Anschließend kannst Du mit Wahrnehmungsübungen weitermachen und auch versuchen, den Beckenboden anzuspannen, um ihn zu aktivieren.
- Vermeide schweres Heben (alles was schwerer als Dein Baby ist) und versuche Dich in aufrechter Haltung
- Entlaste den Beckenboden, in dem Du nur über die Seite aufstehst
- Ballaststoffreiche Ernährung: Eine gesunde Verdauung reduziert das Risiko von Verstopfung, was den Beckenboden entlastet.
Aufbau des Beckenbodens
Der Beckenboden ist wie eine Hängematte aus Muskeln und Gewebe, die den unteren Teil unseres Beckens auskleidet. Er hält wichtige Organe wie die Blase, den Darm und bei Frauen die Gebärmutter an ihrem Platz.
Der Beckenboden besteht aus drei Schichten, die jeweils eine spezifische Lage und Funktion haben:
1. Tiefste Schicht (Diaphragma pelvis)
Lage: Diese Schicht befindet sich tief im Becken und erstreckt sich vom Schambein bis zum Steißbein sowie zu den seitlichen Beckenwänden.
Funktion: Sie bildet die Hauptstützstruktur des Beckenbodens, stabilisiert die Wirbelsäule und unterstützt die Beckenorgane wie Blase, Gebärmutter und Darm. Diese Schicht ist auch wichtig für die Kontrolle der Stuhlentleerung.
2. Mittlere Schicht (Diaphragma urogenitale)
Lage: Diese Schicht liegt oberhalb der tiefsten Schicht und spannt sich zwischen den Sitzbeinhöckern und dem Schambein.
Funktion: Sie unterstützt die Harnröhre und, bei Frauen, die Vagina. Diese Schicht spielt eine wichtige Rolle bei der Kontrolle der Blasenentleerung und bietet zusätzliche Stabilität für die Beckenorgane.
3. Oberflächliche Schicht (Äußere Schließmuskeln und Schwellkörper)
Lage: Diese Schicht liegt direkt unter der Haut im Perineum, dem Bereich zwischen Anus und Geschlechtsorganen.
Funktion: Sie umfasst die Schließmuskeln, die für die Kontrolle des Harnflusses und der Darmentleerung verantwortlich sind, sowie die Muskeln, die die Schwellkörper unterstützen, was bei Männern die Erektion und bei Frauen die Spannung der Vaginalöffnung beeinflusst. Diese Schicht trägt auch zur Stabilisierung des gesamten Beckenbodens bei.
Zusammen arbeiten diese drei Schichten, um die inneren Organe zu stützen, Kontinenz zu gewährleisten, die sexuelle Funktion zu unterstützen und bei Frauen den Geburtsvorgang zu erleichtern.
Die Bedeutung des Beckenbodens und seine Aufgaben
Der Beckenboden erfüllt mehrere wichtige Aufgaben, die für die allgemeine Gesundheit und das Wohlbefinden von entscheidender Bedeutung sind:
- Stützung der Beckenorgane: Der Beckenboden bildet eine Art Hängematte, die die inneren Organe wie Blase, Gebärmutter und Darm an ihrem Platz hält. Diese Unterstützung verhindert das Absinken (Prolaps) dieser Organe.
- Kontinenz: Der Beckenboden spielt eine wesentliche Rolle bei der Kontrolle der Blasen- und Darmfunktion. Durch das Zusammenspiel von Muskeln und Schließmuskeln wird der Harn- und Stuhlabgang kontrolliert. Eine starke Beckenbodenmuskulatur hilft, Inkontinenz zu verhindern.
- Unterstützung während der Geburt: Bei Frauen hilft der Beckenboden während der Geburt, das Kind durch den Geburtskanal zu leiten. Ein flexibler und starker Beckenboden kann den Geburtsvorgang erleichtern und Verletzungen während der Geburt vorbeugen.
- Sexuelle Funktion: Der Beckenboden trägt zur sexuellen Gesundheit bei. Bei Frauen unterstützt er die Spannung und Empfindung der Vagina, was die sexuelle Zufriedenheit und das Empfinden während des Geschlechtsverkehrs verbessern kann.
- Stabilisierung und Haltung: Der Beckenboden arbeitet mit der Bauch- und Rückenmuskulatur zusammen, um die Stabilität des Rumpfes zu gewährleisten und eine gesunde Körperhaltung zu unterstützen. Dies ist besonders wichtig für die Vermeidung von Rückenschmerzen und Haltungsproblemen.
- Atmung: Der Beckenboden arbeitet mit dem Zwerchfell zusammen, um die Atmung zu unterstützen. Während des Einatmens senkt sich der Beckenboden leicht ab und hebt sich beim Ausatmen wieder an, was eine wichtige Rolle im Atemzyklus spielt.
Ein gut funktionierender Beckenboden ist somit entscheidend für die Unterstützung der inneren Organe, die Kontrolle der Blasen- und Darmfunktionen, die sexuelle Gesundheit, die Stabilität des Körpers und die Unterstützung der Atmung.
Auswirkungen der Schwangerschaft und Geburt
Während der Schwangerschaft und Geburt erfährt der Beckenboden erhebliche Veränderungen:
- Hormone: Hormone wie Relaxin und Progesteron lockern das Bindegewebe und die Muskeln, um Platz für das Baby zu schaffen.
- Gewichtszunahme: Das zusätzliche Gewicht des Babys und der Gebärmutter übt Druck auf den Beckenboden aus.
- Geburtstrauma: Die Durchtrennung und Dehnung der Muskeln und Nerven während der Geburt kann zu Schwäche und Verletzungen führen.
Beckenboden direkt nach Geburt – Was ist normal? Tipps zur Entlastung des Beckenbodens nach Geburt
Nach der Geburt durchläuft der Beckenboden, der während der Schwangerschaft und Entbindung erheblichen Belastungen ausgesetzt ist, einen bedeutenden Heilungsprozess. Es ist wichtig zu verstehen, was in Bezug auf den Beckenboden nach der Geburt als normal betrachtet werden kann:
- Schwäche und Erschlaffung: Es ist normal, dass sich der Beckenboden unmittelbar nach der Geburt schwach und erschlafft anfühlt. Die Muskulatur und das Bindegewebe wurden stark beansprucht, überdehnt und benötigen Zeit zur Erholung.
- Tipp 1: Insbesondere in den ersten zwei Wochen nach Geburt solltest Du viel liegen, damit sich der Beckenboden erholen kann
- Inkontinenz: Viele Frauen erleben in den ersten Wochen nach der Geburt eine gewisse Inkontinenz, sowohl bei Urin als auch beim Stuhl. Dies ist eine häufige Folge der geschwächten Beckenbodenmuskulatur und sollte sich mit der Zeit und gezielten Übungen verbessern. Bei mir hat es 8 Wochen gedauert, bis ich den Harndrang wieder richtig wahrgenommen habe.
- Tipp 2: Du solltest regelmäßig zur Toilette gehen, da es sein kann, dass Du nicht spürst, wann Du musst. Versuche alle 2h zur Toilette zu gehen.
- Druckgefühl: Einige Frauen empfinden ein Druck- oder Schweregefühl im Beckenbereich. Dies kann durch die Entspannung und Dehnung der Beckenbodenmuskulatur während der Geburt verursacht werden und sollte sich allmählich bessern.
- Tipp 3: Bei Druckgefühl nach unten hast Du Dich möglicherweise zu viel belastet. Versuche Dich wirklich mehr zu schonen. Auch Spaziergänge noch weglassen (oder nur ganz kurz raus gehen). Versuche so viel wie möglich zu liegen, das hilft dem Beckenboden nach der Geburt.
- Probleme beim Stuhlgang: Schwierigkeiten beim Stuhlgang oder ein Gefühl der unvollständigen Entleerung sind häufig und können auf die beeinträchtigte Beckenbodenfunktion zurückzuführen sein.
- Tipp 4: Bei Stuhlgang nicht pressen und entspannt atmen und sich Zeit nehmen. Das schont den Beckenboden. Trotzdem kann es die ersten Wochen nach Geburt unangenehm sein.
Nach der Geburt benötigt der Beckenboden vor allem Ruhe, schonende Aktivierung und gezielte Unterstützung, um sich vollständig zu erholen und zu stärken. Insbesondere im Frühwochenbett, also in den ersten 10-14 Tagen nach Geburt, solltest Du hauptsächlich liegen, um den Beckenboden zu entlasten. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es Babys gibt, die in den ersten 14 Tagen nicht nur Schlafen, sondern viel getragen werden wollen. Versuche dann, Dir Hilfe zu holen, damit Du trotzdem viel Liegen und Dich schonen kannst.
Anzeichen eines schwachen Beckenbodens
Ein schwacher Beckenboden kann verschiedene Anzeichen und Symptome aufweisen. Zu den häufigsten gehören:
1. Inkontinenz
- Stressinkontinenz: Unfreiwilliger Harnverlust bei körperlicher Anstrengung, Lachen, Husten oder Niesen.
- Dranginkontinenz: Plötzlicher, starker Harndrang mit möglichem ungewolltem Harnverlust.
2. Stuhlinkontinenz
- Unfreiwilliger Verlust von Stuhl oder Schwierigkeiten, den Stuhlgang zu kontrollieren.
3. Senkungsbeschwerden
- Gefühl von Druck oder Schwere im Beckenbereich, als ob etwas „herausfällt“.
- Sichtbare oder tastbare Vorwölbung im Vaginalbereich bei Frauen.
4. Schmerzen im Beckenbereich
- Schmerzen oder Unbehagen im unteren Rücken, Beckenbereich oder in der Scheide bei Frauen.
5. Schwierigkeiten beim Wasserlassen
- Schwierigkeiten, die Blase vollständig zu entleeren.
- Schwacher oder unterbrochener Harnstrahl.
6. Sexuelle Probleme
- Schmerzen während des Geschlechtsverkehrs.
- Verminderte Empfindungen oder Schwierigkeiten beim Erreichen eines Orgasmus.
7. Chronische Verstopfung
- Regelmäßige Schwierigkeiten beim Stuhlgang, die nicht durch Ernährungs- oder Flüssigkeitszufuhrprobleme erklärt werden können.
8. Häufiges Wasserlassen
- Häufiger Harndrang, auch ohne eine volle Blase.
Beckenbodenübungen
Sanfte Beckenbodenübungen sind essenziell, um die Muskulatur langsam wieder aufzubauen. Diese Übungen sollten am besten unter Anleitung einer Hebamme oder einer spezialisierten Physiotherapeutin durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass sie korrekt und effektiv ausgeführt werden. Zudem sollte man Aktivitäten vermeiden, die den Beckenboden stark belasten, wie schweres Heben, intensives Bauchmuskeltraining oder anstrengende Sportarten. Stattdessen sind schonende Bewegungen wie leichtes Gehen und spezielle Rückbildungsgymnastik empfehlenswert. Ein beckenbodenfreundliches Verhalten beinhaltet auch regelmäßige Pausen, um den Körper nicht zu überlasten, und das Einnehmen einer aufrechten Körperhaltung, die den Beckenboden entlastet. Es ist wichtig, auf den eigenen Körper zu hören und ihm die nötige Zeit zur Regeneration zu geben. Zudem kann die bewusste Atmung, bei der beim Ausatmen der Beckenboden leicht angespannt wird, helfen, die Muskulatur zu unterstützen und zu kräftigen.
Die Wiederherstellung der Beckenbodenfunktion nach der Geburt erfordert gezielte Übungen und manchmal professionelle Hilfe. Hier sind einige Schritte zur Rehabilitation:
Beckenbodenübungen (Kegel-Übungen)
Kegel-Übungen sind die Grundlage jeder Beckenbodenrehabilitation. Sie stärken die Muskeln und verbessern die Kontrolle über Blase und Darm.
Wie man Kegel-Übungen durchführt:
Finde die richtigen Muskeln: Stelle Dir vor, Du musst den Urinfluss stoppen.
• Spanne diese Muskeln an und halte die Kontraktion für 5-10 Sekunden.
• Entspanne die Muskeln vollständig und wiederhole die Übung 10-15 Mal, mehrmals täglich.
Physiotherapie
Ein spezialisierter Physiotherapeut kann ein individuell angepasstes Programm erstellen und Techniken wie Biofeedback und Elektrostimulation einsetzen, um die Muskulatur zu stärken.
Training der Tiefenmuskulatur
Der Beckenboden ist ein Teil des 4-Teile Systems des Körpers bestehend aus tiefer Bauchmuskulatur (M. transversus abdominis), Tiefenmuskulatur des Rückens, Zwerchfell und Beckenboden. Diese vier Teile sind wichtig, um den Kernbereich des Körpers zu stabilisieren und die Organe an ihrem Platz zu halten. Nach der Schwangerschaft sind diese Muskeln oft überdehnt oder zu schwach, um ihre Aufgabe zu erfüllen.
Ein Training der Tiefenmuskulatur einschließlich tiefer Bauch– und Rückenmuskulatur sind also nach der Schwangerschaft essentiell.
Fazit
Die Pflege und Rehabilitation des Beckenbodens nach der Schwangerschaft ist entscheidend für das langfristige Wohlbefinden und die Lebensqualität von Frauen. Durch gezielte Übungen, professionelle Unterstützung und gesunde Lebensgewohnheiten kann die Funktion des Beckenbodens wiederhergestellt und gestärkt werden, um die häufigsten postnatalen Probleme zu vermeiden. Es ist wichtig, sich dieser Themen bewusst zu sein und frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um die Gesundheit des Beckenbodens zu unterstützen.
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Sonja ist Ernährungswissenschaftlerin und promovierte Epidemiologin mit langjähriger Erfahrung in der Gesundheitsforschung. Seit der Geburt ihrer beiden Kinder 2019 und 2023 beschäftigt sie sich intensiv mit dem Thema Rückbildung und der Thematik, wie man wieder einen gesunden und schönen Körper mit stabiler Mitte nach der Schwangerschaft bekommen kann. Sie möchte Euch helfen, nach der Schwangerschaft wieder fit zu werden!